Wenn das Niederstwertprinzip zum Fallstrick wird
Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihr Traumhaus gefunden, der Preis stimmt für Sie und Sie können die nötigen 20 % Eigenkapital aufbringen. Doch dann kommt Ihr Kreditgeber und sagt Ihnen nicht 80, sondern 70 % des Kaufpreises zu. Wie kann das sein?
Eine Immobilie – zwei Werte
Es gibt verschiedene Arten der Immobilienbewertung. Zu den wichtigsten gehören der Kaufpreis (oder Verkaufswert) und der Verkehrswert (oder Marktwert).
Der Kaufpreis ist der effektiv ausgehandelte Preis, den der Käufer dem Verkäufer bezahlt.
Der Verkehrswert hingegen ist jener Preis, der beim Verkauf einer Immobilie gemäss Expertenschätzung bei normalen Marktverhältnissen erzielt werden könnte. Er ist also ein reiner Schätzwert und beruht auf mehr oder weniger objektiven Kriterien.
Banken, Versicherungen, Anlagestiftungen und Pensionskassen nehmen immer ihre eigene Verkehrswertschätzung vor, wenn sie eine Hypothek vergeben.
Niederstwertprinzip: der tiefere Wert gilt als Belehnungswert
Im Idealfall stimmen Verkaufswert und Verkehrswert überein. Aber das tun sie nicht immer. Doch auf welchem Wert stützt der Kreditgeber dann die Berechnung der Finanzierung?
Jetzt kommt das Niederstwertprinzip ins Spiel: Es besagt, dass der tiefere Wert von beiden als Belehnungswert gilt – mit entsprechenden Auswirkungen auf den erforderlichen Eigenmittel-Anteil.
Das Niederstwertprinzip greift also in folgenden zwei Szenarien:
- Verkehrswert liegt über dem Kaufpreis → Eigenkapital-Anteil bleibt bei 20 %
- Verkehrswert liegt unter dem Kaufpreis → Eigenkapital-Anteil wird grösser
Niederstwertprinzip: die verschiedenen Szenarien. Schauen wir uns diese noch genauer an.
Verkehrswert liegt über dem Kaufpreis – das Normal-Szenario
Wenn der Kreditgeber Ihre Wunschimmobilie höher bewertet als der Verkäufer, ist für Sie alles im Butter: Als Belehnungswert gilt dann der zu zahlende Kaufpreis und der effektive Eigenkapital-Anteil beträgt 20 % des Kaufpreises.
Verkaufswert | CHF 1´000´000.00 |
Verkehrswert gemäss Kreditgeberschätzung | CHF 1´100´000.00 |
Maximale Hypothek (80 % von 1´100´000.00) |
CHF 880´000.00 |
Mindest-Eigenkapitalanteil (1´000´000.00 – 800´000.00) |
CHF 200´000.00 |
Verkehrswert liegt unter dem Kaufpreis – das Aufpreis-Szenario
Häufiger als das Schnäppchen-Szenario tritt das Gegenteil ein: Seit Jahren steigen in der Schweiz die Immobilienpreise, so dass diese die Verkehrswertschätzung der Kreditgeber oft übersteigen. Vor allem bei Luxusimmobilien liegt der Schätzwert oft unter dem effektiven Verkaufspreis.
Das Niederstwertprinzip kann dann den Traum vom Eigenheim platzen lassen. Denn wenn die Banken, Versicherungen, Anlagestiftungen und Pensionskassen nicht 80 % des zu zahlenden Preises, sondern nur 80 % des (tieferen) Verkehrswertes finanziert, muss der Käufer die Lücke mit zusätzlichem Eigenkapital füllen. Und das ist nicht immer griffbereit.
Verkaufswert | CHF 1´000´000.00 |
Verkehrswert gemäss Kreditgeberschätzung | CHF 900´000.00 |
Maximale Hypothek (80 % von 900´000.00) |
CHF 720´000.00 |
Minimaler Eigenkapitalanteil (1´000´000.00 – 720´000.00) |
CHF 280´000.00 |
In diesem Beispiel liegt der minimale Eigenkapitalanteil effektiv bei 28 %.
Jeder Anbieter schätzt anders – vergleichen lohnt sich!
Die Kreditgeber nutzen zwar weitgehend dieselben Methoden zur Berechnung des Verkehrswertes, die Auswahl und Gewichtung der Faktoren kann aber erheblich variieren. Je nach Anbieter kann der erforderliche Eigenmittel-Anteil also unterschiedlich hoch sein.
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FAQ
Seit wann gilt das Niederstwertprinzip?
Es wurde im September 2014 von der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVG, Swiss Banking) eingeführt. Es ist Teil ihrer selbstauferlegten Mindeststandards für die Hypothekenvergabe.
Warum wurde das Niederstwertprinzip eingeführt?
Es soll die Gefahr von Immobilienblasen mildern und die Stabilität des Finanzsektors stärken.
Seit der Finanzkrise 2008 nahm die Nachfrage nach Hypotheken, angekurbelt von den tiefen Zinsen, stark zu. Eine Überhitzung des Immobilienmarktes drohte. Zu viele (und zu hohe, schlecht abgesicherte) Kredite erhöhen die Gefahr, dass viele Kreditnehmer die Hypothek plötzlich nicht mehr bedienen können und der Finanzsektor ins Wanken gerät.
Das Niederstwertprinzip beruhigt den Hypothekenmarkt, indem es die Finanzierung an realistischere, vorsichtigere Bewertungen knüpft und es dadurch zu weniger riskanten Finanzierungen kommt.
Wie kommen Kreditgeber auf ihre Schätzungen?
Es gibt verschiedene Bewertungsmethoden, am geläufigsten ist die so genannte hedonische oder Vergleichswert-Methode. Mehr dazu in diesem Artikel.